Was wir über Corona-Langzeitfolgen wissen
Schon nach wenigen Wochen Pandemie zeigte sich, wie unterschiedlich schwer Menschen von einer akuten COVID-19-Erkrankung betroffen sind. Denn dank gezielter Forschung erfuhren wir schnell, wer wie gefährdet durch das Virus ist, welche Rolle Kinder spielen und wie brenzlig die Lage in Kliniken werden kann.
Bei Corona-Langzeitfolgen ist die Ausgangslage jedoch zwangsläufig komplizierter. Schließlich muss erst einige Zeit vergehen, bevor man überhaupt beurteilen kann, wie groß das Problem ist. So hätten erste Erfahrungsberichte zu langwierigen Verläufen sowohl Ausnahmeerscheinung als auch Spitze eines Eisbergs sein können.
Nach einem Jahr Pandemie wissen wir heute: Von einer Ausnahme kann keineswegs die Rede sein.
Long-COVID in Zahlen
Wie bei jedem neuen Krankheitsbild müssen auch bei den Corona-Langzeitfolgen anfangs noch einheitliche Definitionen vereinbart werden. So sprechen Forscher teils von „Long-Haul-Verläufen”, „Post-COVID-Syndrom“, „chronischem COVID-Syndrom” oder einfach nur „Long-COVID”. Alle beschreiben jedoch letztlich das gleiche [1-4].
Gemeint sind nämlich Symptome, die während oder nach einer COVID-19-Erkrankung auftreten, mindestens 12 Wochen anhalten und nicht durch eine andere Diagnose erklärt werden können. Wobei auch die genauen Zeitfenster aktuell noch diskutiert werden [1, 2].
Noch wichtiger sind ohnehin die Fragen, wie häufig Corona-Langzeitfolgen überhaupt sind und welche Beschwerden sie beinhalten. Beim Blick auf die Zahlen stößt man dabei schnell auf ein paar Überraschungen:
Hieraus ergeben sich also eine ganze Reihe an Erkenntnissen. So gibt es eine Vielzahl an Symptomen, die längerfristig bestehen können. Auch ist hiervon mitunter ein großer Anteil der COVID-Erkrankten betroffen [5, 6].
Zudem handelt es sich dabei keineswegs „nur” um Atemwegssymptome. Andere körperliche sowie psychische Beschwerden können somit ebenfalls zu den Spätfolgen zählen. Und nicht zuletzt haben die Langzeitfolgen bei vielen Menschen Auswirkungen auf die Lebensqualität. Long-COVID ist also unbedingt ernst zu nehmen [5, 6].
Gleichzeitig zeigt sich bei all diesen Zahlen jedoch auch, wie viele Fragen zur genauen Häufigkeit und Dauer weiterhin unklar sind. Hier kann nur weitere Forschung Antworten geben. Denn die meisten bisherigen Studien können erst auf wenige Monate Long-COVID-Verläufe zurückblicken.
Eine weitere Besonderheit ist der Zusammenhang von Krankheitsschwere und späteren Langzeitfolgen. Denn anders als zu Pandemiebeginn vermutet, können häufig auch milde COVID-19-Erkrankungen später in ein Long-COVID übergehen. Eine Behandlung in einem Krankenhaus oder auf Intensivstation sind also keineswegs Grundvoraussetzung [7].
So geben in Befragungen auffallend viele junge Menschen an, noch lange nach durchgemachter Corona-Infektion von Spätfolgen betroffen zu sein:
Anhaltende Beschwerden wie Atemnot sind dabei in etwa 2 von 3 Fällen auch in einer ärztlichen Untersuchung der Lungenfunktion als messbarer Wert nachvollziehbar. Long-COVID erlangt daher immer größere Akzeptanz in der Fachwelt und Betroffene sollten unbedingt die nötige Aufmerksamkeit und Unterstützung erfahren [2, 3].
Psychische Folgen einer Corona-Erkrankung
Während man COVID-19 zunächst als reine Atemwegserkrankung betrachtete, rücken die psychischen Folgen mittlerweile zunehmend in den Fokus. Denn sowohl während der akuten Erkrankung als auch bei Long-COVID werden die Auswirkungen auf die mentale Gesundheit immer besser erfasst und verstanden [8].
Für viele Menschen, die an COVID-19 erkranken, kann somit eine Doppelbelastung aus körperlichen und psychischen Beschwerden entstehen. Aktuelle Schätzungen gehen davon aus, dass im Schnitt jeder dritte akut COVID-19-Erkrankte psychische Symptome entwickelt. Hierzu zählen Schlafprobleme, verminderte Aufmerksamkeit oder Konzentration, Angstzustände, Gedächtnisstörungen, depressive Stimmung, Verwirrung sowie Bewusstseinstrübungen [9].
Auch bei den Langzeitfolgen einer Corona-Infektion spielen psychische Beschwerden eine große Rolle. Dazu gehören insbesondere Angstzustände, Stimmungsschwankungen, Konzentrations- sowie Gedächtnisprobleme und eine Art „Nebel im Kopf” [2, 10].
Hier besteht jedoch ebenfalls noch großer Forschungsbedarf. Es ist nämlich aktuell schwer zu sagen, was der Auslöser für die psychischen Langzeitfolgen ist. Einerseits könnten die Symptome zum Beispiel entstehen, indem das Virus das Gehirn selbst infiziert. Andererseits kommt aber auch die mit den körperlichen Langzeitfolgen einhergehende psychische Belastung als Auslöser in Frage [2].
Genauso steht weiterhin die Frage aus, ob alle Langzeitbeschwerden mit der Zeit wieder verschwinden. In einer der umfangreichsten Studien, in der Menschen 6 Monate nach ihrem COVID-bedingten Krankenhausaufenthalt untersucht wurden, hatten noch 3 von 4 Personen Beschwerden [11, 12].
Lockdown und Mental Health
Auch für gesunde Menschen stellt die Pandemie eine große Herausforderung dar. Weil die meisten Menschen – auch ohne an COVID-19 zu erkranken – dennoch zurückgezogener während dieser Zeit leben, sind die psychischen Auswirkungen teils schwerer zu erfassen.
Aus früheren Epidemien weiß man jedoch, dass insbesondere eine auferlegte Quarantäne mit Gefühlen wie Wut, Angst, Langeweile, Verwirrung, depressiver Stimmung, emotionaler Erschöpfung, Frustration, Reizbarkeit und Stress einhergehen kann. Zu den hilfreichsten Maßnahmen zählt, sich bewusst Sinn und Zweck der Quarantäne zu vergegenwärtigen und digital Kontakt zu Bekannten zu halten. Gleiches gilt für den Lockdown [11, 12].
Vor allem für Menschen mit bereits bestehender psychischer Erkrankung ist die Pandemie laut Umfragen jedoch besonders herausfordernd. Hier ist soziale und therapeutische Unterstützung also besonders gefragt [13].
Ansonsten sind die meisten Erhebungen zu Sorgen, Einsamkeit, Verbitterung, Niedergeschlagenheit, innerer Widerstandskraft, Pandemiemüdigkeit sowie allgemeiner Lebenszufriedenheit in der Bevölkerung erstaunlich stabil. Es zeigen sich also keine großen Veränderungen im Pandemieverlauf [14-17].
Allerdings wird die Pandemie zunehmend als belastend empfunden:
Es deutet jedoch bisher wenig daraufhin, inwiefern hieraus psychische Langzeitfolgen für die meisten Menschen entstehen könnten.
Wird die Lebensqualität nachhaltig beeinträchtigt?
Zwar ist die Pandemie noch nicht überwunden, aber mit jeder weiteren Impfstoffzulassung wächst der Grund zur Hoffnung. Umso mehr drängt sich also die Frage auf, ob COVID-19 und Long-COVID die Lebensqualität bei Betroffenen nachhaltig – also auch nach Pandemie-Ende – verändern werden.
Denn nur, wenn Betroffene sich ausreichend von den Krankheitsfolgen erholen, können sie wieder komplett zu ihrem vorherigen Alltag zurückkehren und ihr Leben weiterhin aktiv gestalten. Dies hat nicht nur große Bedeutung für jede einzelne Person, sondern auch für die Gesellschaft als ganzes.
Schließlich geht die Gesamtzahl an COVID-19-Fällen allein in Deutschland aktuell auf 2 ½ Millionen Menschen zu, wobei die Dunkelziffer noch deutlich größer sein dürfte.
Die Vermutung, dass viele dieser Menschen in der Folge von Long-COVID betroffen sind, hat also eine enorme gesellschaftliche Tragweite.
Was die Forschung sagt
Nicht umsonst beschäftigt sich die Wissenschaft ausgiebig mit der sogenannten „gesundheitsbezogenen Lebensqualität”. Hierbei geht es darum, wie das Wohlbefinden eines Menschen durch eine Krankheit oder deren Behandlung beeinträchtigt wird [18].
So kann zum Beispiel beurteilt werden, ob Menschen wieder völlig aktiv und ohne Leistungseinschränkungen leben, ihrer Arbeitstätigkeit nachgehen und sich künftig selbst versorgen können [18].
Für COVID-19 und Long-COVID gibt es dazu noch kaum Studien. Man weiß jedoch von ersten Untersuchungen, dass sich der Zustand vieler COVID-Erkrankter verbesserte, wenn sie anschließend an einem gezielten mehrwöchigen Rehabilitationsprogramm teilnahmen [19].
Auch gibt es hoffnungsvolle Berichte von Überlebenden früherer Coronavirus-Ausbrüche wie der SARS-Epidemie 2003 und MERS-Epidemie 2012. Die meisten von ihnen entwickelten keine psychische Erkrankung, konnten später wieder ihrem Job nachgehen und verspürten zudem eine größere Dankbarkeit für ihre Gesundheit und zwischenmenschlichen Beziehungen [9, 20-22].
Am Ende gibt es also reichlich Anlass zu Optimismus, aber auch noch viel Nachholbedarf. Denn nur mit einer weltweiten systematischen Forschung zu Corona-Langzeitfolgen, können diese besser verstanden, behandelt oder sogar verhindert werden [23, 24].
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