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Studientypen in der medizinischen Forschung

Unterschiede zwischen Primär- und Sekundärforschung

Wenn es sich nicht gerade um einen glücklichen Zufallsbefund handelt, steht zu Beginn einer jeden wissenschaftlichen Erkenntnis stets eine Hypothese. Mithilfe von – für die Fragestellung passend konzipierten – Studien können Wissenschaftler:innen dann gezielt Daten erfassen und anschließend auswerten. Dies gilt auch für die Medizin. 

Doch hinsichtlich der Art der Datengewinnung gibt es zwei völlig unterschiedliche Herangehensweisen: die Primär- und die Sekundärforschung. Hier erfahren Sie, worin die Unterschiede bestehen und welche Vorteile wo zu erwarten sind.

1. Primärforschung und Sekundärforschung – Definition

1.1. Primärforschung – Definition – Definition

Der Begriff „Primärforschung” bezeichnet die Sammlung (und spätere Auswertung) von Originaldaten. Die Informationen werden also neu „aus erster Hand” gewonnen, anstatt sich auf verfügbare Informationen aus Datenbanken und anderen Veröffentlichungen zu verlassen [1-3].

Klassischerweise kam insbesondere der Primärforschung die Aufgabe zu, bisher ungeklärte Fragen zu beantworten und damit neues Wissen zu generieren. Viele sprechen daher bei Primärforschung von „Studien” im eigentlichen Sinne [1, 2].

1.2. Sekundärforschung – Definition

Der Begriff „Sekundärforschung” bezeichnet die Zusammenfassung oder Zusammenführung von Daten oder Studienergebnissen, die von anderen Wissenschaftler:innen bereits organisiert und veröffentlicht wurden [1, 2].

Die Sekundärforschung baut also direkt auf der Primärforschung auf, indem die Wissenschaftler:innen hier Informationen aus der primären Forschung (also den „eigentlichen” Studien) verwenden und weitergehend analysieren [1, 2].

2. Methoden der medizinischen Primärforschung

Je nach Wissenschaftszweig kann die Primärforschung in der Umsetzung durchaus unterschiedlich aussehen. So sind z.B. Formate wie Umfragen, Interviews oder Fokusgruppen in bestimmten Feldern gängige Praxis – speziell in der Medizin jedoch quasi ohne Relevanz [1, 2].

Die medizinische Primärforschung besteht hingegen vornehmlich aus experimentellen, klinischen sowie epidemiologischen Untersuchungen [1, 2, 4]. 

Die experimentelle Forschung entspricht hierbei der Grundlagenforschung. Dazu zählen Tierversuche, Zellversuche, biochemische, genetische und physiologische Untersuchungen sowie Studien zu Arzneimittel- und Materialeigenschaften [2, 4]. 

Mit klinischen Studien sind wiederum Untersuchungen mit und an Patient:innen gemeint. Und nicht zuletzt befassen sich epidemiologische Studien zumeist mit den Häufigkeiten und Ursachen von Krankheiten in der Bevölkerung [2, 4].  

So unterschiedlich diese drei Bereiche auch sein mögen: Werden die Daten neu gewonnen („Originaldaten”), handelt es sich somit um Primärforschung [1, 2].

2.1. Studientypen in der medizinischen Primärforschung

Natürlich gibt es auch in der medizinischen Primärforschung sehr unterschiedliche Studientypen, mithilfe derer die Datenerfassung und -auswertung durchgeführt werden [2]. 

Welcher Studientyp für den jeweiligen Bereich verwendet wird, ist dabei keineswegs trivial. Schließlich entscheidet das sogenannte „Studiendesign” – also die Art, wie eine Studie im Detail angelegt und konzipiert wird – wesentlich über Qualität, Aussagekraft und Publikationswürdigkeit [2]. 

Der Studientyp ist fester Bestandteil des Studiendesigns und wird zeitlich noch vor Studienbeginn festgelegt. Die jeweilige Fragestellung der Studie bildet die Voraussetzung dafür, welcher Studientyp zu ihr passt [2, 5]. 

Unter den gängigen Studientypen in der Medizin sind also die einen nicht etwa „richtiger” als die anderen. Schließlich ist jede Fragestellung nur auf die ein oder andere Weise zu beantworten [2].  

Wird der Studientyp hingegen falsch ausgewählt, ist dies im Verlauf der Studie nicht mehr korrigierbar [2].

2.1.1. Grundlagenforschung

Grundlagenforschung bzw. experimentelle Forschung beruht – wie der Name suggeriert – meist auf Experimenten. Dabei wird meist eine unabhängige Variable als Teil des Versuchs verändert und so deren Auswirkung auf die abhängige Variable untersucht [2, 4].  

So kann beispielsweise die Dosierung eines Medikamentes (unabhängige Variable) graduell erhöht werden und so der (unterschiedliche) Effekt auf identische Kopien einer Zellkultur (abhängige Variable) analysiert werden [2, 4].

Da Laborbedingungen meist sehr gut kontrolliert werden können, lassen sich Störeffekte minimieren. Im Idealfall kann dann für eine spezifische Hypothese eine präzise Kausalaussage getroffen werden. Man spricht in diesem Zusammenhang von einer hohen „internen Validität” [2, 4]. 

Schwieriger verhält es sich dagegen bei der sogenannten „externen Validität”: Denn eine Generalisierbarkeit der Laborergebnisse auf die Realität ist meist nur begrenzt möglich. Z.B. muss der Effekt, den eine bestimmte Medikamentendosis im Labor auf eine einzelne Zelle hatte, keineswegs auf den gesamten menschlichen Organismus im echten Leben übertragbar sein [2, 4].

2.1.2. Klinische Studien

Bei den sogenannten klinischen Studien handelt es sich um Untersuchungen mit und an Patient:innen. Sie bilden gewissermaßen den Übergang von der Grundlagenforschung zum Versorgungsalltag in Praxen und Krankenhäusern [4, 6, 7].

Klinische Studien können grob in interventionelle (=experimentelle) sowie nicht-interventionelle (=beobachtende) Studien unterteilt werden [2, 4, 7].

Eine genaue Erläuterung der verschiedenen Arten von klinischen Studien finden Sie hier.

2.1.3. Epidemiologische Studien

Und nicht zuletzt bilden die Epidemiologischen Studien ebenfalls ein wichtiges Instrument der medizinischen Primärforschung. In der Regel befassen Sie sich mit den Häufigkeiten und Ursachen von Krankheiten in der Bevölkerung und sind damit wichtiger Bestandteil der Public Health [2].

Auch hier unterscheidet man zwischen experimentellen und beobachtenden Studien:

Epidemiologische Studien

Experimentelle Studien(=Interventionsstudien)

→ Feldstudien (bestimmte Region)

→ Gruppenstudien (bestimmte Gruppe)

→ Die Probanden (aus einer bestimmten Region oder Gruppe) werden einer spezifischen Exposition ausgesetzt (z.B. jodiertes Speisesalz in Jodmangelgebiet).

→ Aus ethischen Gründen häufig nicht durchführbar.

Beobachtende Studien (=Beobachtungsstudien)

Kohortenstudien 

Fall-Kontroll-Studien

Querschnittstudien 

→Ökologische Studien

→ Beschränken sich auf die reine Beobachtung (z.B. Verteilung einer Erkrankung in der Bevölkerung) mit regelmäßiger Datenerfassung (Monitoring, Surveillance) und deskriptiver Auswertung.

3. Methoden der medizinischen Sekundärforschung

Auch die Sekundärforschung spielt für die Medizin eine große Rolle. Prinzipiell kann sie sich ebenfalls mit den drei Bereichen „Grundlagen”, „Patient:innen” und „Epidemiologie” befassen [2]. 

Entscheidend ist nur, dass hier keine Originaldaten erhoben werden, sondern bereits bestehende Daten oder Studienergebnisse zusammengeführt oder -gefasst werden [1, 2].

Systematische Übersichtsarbeiten und Metaanalysen, in denen Wissenschaftler:innen bereits veröffentlichte Studienergebnisse zu einem bestimmten Thema gezielt überprüfen und gebündelt zusammenfassen, sind für die Medizin – in Punkto Sekundärforschung – besonders relevant [8].

3.1. Verwendungsformen von Sekundärdaten in der Medizin

Die folgenden Formen der Zusammenfassung von veröffentlichten Einzelstudien sind möglich [8]:

3.1.1. Narrative Reviews

Narrative Reviews sind qualitative Zusammenfassungen der Ergebnisse aus einzelnen Studien [8]. 

Sie werden häufig von einem oder mehreren Experten verfasst und bieten einen Überblick zu einer bestimmten Thematik. Damit sind sie häufig ein dankbarer Einstieg in den aktuellen Forschungsstand zu dem entsprechenden Gebiet [8].

Jedoch ist die Auswahl der berücksichtigten Artikel rein subjektiv und sollte daher in ihrer Aussagekraft mit Vorsicht bewertet werden [8].

3.1.2. Systematische Übersichtsarbeiten

Systematische Übersichtsarbeiten (auch systematische Literaturreviews genannt) zählen ebenfalls zu den sogenannten Reviews. Anders als narrative Reviews verfügen sie jedoch über von Anfang an klar definierte Ein- und Ausschlusskriterien [8]. 

Damit wird versucht, wirklich alle für den Kriterien entsprechenden Studien zu berücksichtigen und so für Transparenz sowie Neutralität zu sorgen [8].

Die Ergebnisse einer jeden (eingeschlossenen) Einzelstudie werden wiedergegeben, Gründe für unterschiedliche Ergebnisse analysiert [8].

Dementsprechend ist die Beurteilung der jeweiligen Studiendesigns und der methodischen Qualität von zentraler Bedeutung [8].

3.1.3. Meta-Analysen publizierter Daten

Meta-Analysen beruhen auf denselben Prinzipien wie systematische Übersichtsarbeiten. Sie gehen jedoch insofern noch einen Schritt weiter, als dass hier die Ergebnisse mittels statistischer Methoden quantitativ zusammengefasst werden [8].

Was die Statistik und Datenanalyse betrifft, gehen sie somit noch einen Schritt weiter [8].

Meta-Analysen, die eine Übersicht über alle zum Thema verfügbaren randomisiert-kontrollierten Studien geben, gelten in der Medizin als Publikationen mit dem höchsten Evidenzgrad [8].

Eine Besonderheit bilden die sogenannten „prospektiv geplanten Meta-Analysen”. Hier werden zusammenhängende Einzelstudien einheitlich geplant, bei denen dann bereits im Vorfeld klar ist, dass sie gemeinsam ausgewertet werden [8]. 

Diese Art der Meta-Analyse ist gewissermaßen ein „Hybrid” zwischen Primär- und Sekundärforschung [8].

3.1.4. Gepoolte Reanalysen

Bei einer gepooIten Reanalyse (auch „gepoolte Auswertung“ oder „Metaanalyse von Individualdaten“ genannt) handelt es sich um eine „quantitative Zusammenführung von Originaldaten einzelner Studien zur gemeinsamen Auswertung“ [8]. 

Alle Daten aus den Einzelstudien werden hierfür in einer gemeinsamen Datenbank zusammengeführt. Anschließend werden sie nach einheitlichen, bereits im Vorhinein festgelegten Kriterien ausgewertet [8].

Dieser Ansatz der Datenanalyse kriegt gerade durch die zunehmend verbreitete Anwendung der sogenannten FAIR-Prinzipien neuen Aufwand und könnte künftig dazu beitragen, dass auch Sekundärforschung vermehrt zu gänzlich neuen Erkenntnisse beiträgt [8].

4. Vor- und Nachteile von Primär- und Sekundärforschung

4.1. Vor- und Nachteile der Primärforschung

Primärforschung bildet gewissermaßen das Rückgrat der medizinischen Forschung. Denn ohne Erfassung und Auswertung von Originaldaten wäre wissenschaftlicher Erkenntnisgewinn in dem Sinne gar nicht möglich. Schließlich ist selbst die Sekundärforschung darauf angewiesen, dass zuvor Primärforschung erfolgt ist.

Ein weiteres Grundprinzip ist, dass unter all den verschiedenen Studientypen der Primärforschung keiner per se „besser” oder „schlechter” ist als andere. Viel wichtiger ist, dass der jeweilige Studientyp (und weitergehend das gesamte Studiendesign) genau zur ausgewählten Fragestellung passt.

Typische Herausforderungen der Primärforschung bestehen zudem aus einem hohen zeitlichen und finanziellen Aufwand. Da die Daten überhaupt erst erfasst werden müssen, ist die Durchführung von Studien der Primärforschung zwangsläufig teurer und zeitaufwändiger. 

Neben diesen generellen Überlegungen hängen die Vor- und Nachteile jedoch insbesondere vom jeweiligen Studientyp ab.

4.2. Vor- und Nachteile der Sekundärforschung

Die Sekundärforschung hat – als Ergänzung zur Primärforschung – besondere Relevanz, da die Anzahl an wissenschaftlichen Publikationen immer weiter ansteigt [8]:

Anzahl der Publikationen von Sekundärforschung im Verlauf der letzen 60 Jahre

Umso wichtiger ist es daher geworden, einzelne Studien gebündelt zusammenzufassen und gemeinsam zu bewerten. Denn anders wären alle neuen Studien eines Fachgebiets selbst für Expert:innen kaum noch zu überblicken und in ihrer Aussagekraft einzuordnen [8].

Die Zusammenfassungen einzelner Studien haben insbesondere dann große Relevanz, wenn die Ergebnisse der Einzelstudien unübersichtlich oder widersprüchlich sind. Auch bei in Einzelstudien zu geringen Fallzahlen kann die Sekundärforschung durch das Zusammentragen von Daten einen entscheidenden (statistischen) Unterschied bringen [8].

Doch damit nicht genug: 

Neue Ansätze des Datenaustauschs („FAIR-Prinzipien”), neue technologische Möglichkeiten der Datenauswertung („Big Data und KI”) sowie eine erhöhte Bereitschaft von Bürger:innen ihre Gesundheitsdaten der Forschung zugänglich zu machen („Datenspende” und „Broad Consent”) geben der Sekundärforschung künftig weiteren Aufwind [9, 10]. 

Ein wichtiger Trend, der auch in der Politik längst angekommen ist [11]

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